Drei Missverständnisse übers Prokrastinieren, die deiner Kreativität schaden

Missverständnis 1: Prokrastinieren ist schlecht.

Cartoon: Zweimal ich, lächelnd, am Schreibtisch. Über meinem linken Ich steht: "Böse Prokrastination" über meinem rechten "Gute Prokrastination"

Als "Prokrastinieren" zum Modewort wurde, vor 10 Jahren oder so, da dachte ich: "Prima! Jetzt wächst endlich das Verständnis dafür, warum Aufschieben für die Kreativität wichtig ist". Aber weit gefehlt. Fast sofort wurde das Wort falsch interpretiert (nämlich negativ), wurden Studien aus ihrem Zusammenhang gerissen und aus dem neutralen Begriff "Prokrastination" die "krankhafte Prokrastination" gemacht.Seitdem erscheint so ungefähr täglich ein Artikel, in dem erklärt wird, wie wir das Prokrastinieren überwinden, überlisten, vermeiden und bekämpfen können. Die Welt titelt gar "Der Prokrastination entkommen" und verspricht zehn Tricks, mit denen wir nie wieder prokrastinieren werden. Und will der Kreativität damit wohl ein für alle mal den Garaus machen. (Solltest du dennoch auf den Link klicken, dann machst du das auf eigene Gefahr!)Höchste Zeit, die Prokrastination zu rehabilitieren und zu erkennen, wie und wann das Aufschieben zur kreativen Kraft wird. Das ist zum Beispiel, wenn es dir beim Fokussieren hilft. Oder wenn es dafür sorgt, dass dein Geist sich im Leerlauf bewegt und die für die kreative Arbeit so wichtigen intuitiven Prozesse stattfinden können. Zu den guten Seiten der Prokrastination mache ich demnächst einen ausführlicheren Artikel. Darin wird es auch darum gehen, wie du erkennst, mit welcher Art Prokrastination du es zu tun hast. Von außen sehen die kreativitätsfördernde und die blockierte Prokrastination nämlich gleich aus.



Missverständnis 2: Wenn du dich beim Prokrastinieren ertappst, musst du dich zum Weitermachen zwingen.

Cartoon: Ich renne vor meinen kreativen Blockaden weg. Die verfolgen mich und rufen "Blockiert sie!"

Dieses Missverständnis ist für Kreative eine Katastrophe. Erstens schüttest du damit sozusagen das Kind mit dem Bade aus. Schließlich kannst du jetzt auch die guten Arten des Aufschiebens nicht mehr nutzen. Sobald du dich beim Prokrastinieren ertappst, rufen die kleinen Leistungsdrückerchen in deinem Gehirn: "Igitt, hier wird nicht gearbeitet". Du fühlst dich schuldig, undiszipliert oder faul und versuchst dich zum Weiterarbeiten zu zwingen. Statt zu überlegen, ob es vielleicht einen guten Grund für dein Aufschieben gibt. So schwächst du deinen kreativen Prozess nicht nur,  im schlimmsten Fall kannst du ihn dadurch ganz verhindern. Und wenn du alle Prokrastinier-Neigungen gleich unterdrückst, lernst du auch nicht, woran du das gute Aufschieben erkennen kannst. Oder in welchen Situationen du es brauchst und wie du es am besten nutzen kannst.Zweitens ist dieser Ratschlag auch in allen anderen Fällen Quatsch. Denn auch dann, wenn du  prokrastinierst, weil es in deinem kreativen Prozess gerade nicht so rund läuft, hat es keinen Sinn, dich zum Weitermachen zu zwingen. Mag sein, dass du mit Disziplin noch ein Stückchen vorwärts kommst, aber dann werden dich die Blockaden höchstwahrscheinlich wieder einholen. Das Prokrastinieren an sich ist nämlich gar nicht das Problem. Und damit wären wir auch schon beim nächsten Missverständnis:




Missverständnis 3: Prokrastinieren ist die Ursache von kreativen Blockaden

Cartoon: Ich mit Propeller auf dem Rücken fliege zur Tankstelle und sage: "Zeit für einen Stopp an der Tanke".  Auf der Tankstelle steht "Kreative Energie" und danebensteht ein Liegestuhl und ein Tisch mit einem Getränk.

Das ist großer Unsinn! Das Aufschieben ist nicht die Ursache dafür, dass deine kreativen Säfte nicht strömen wollen. Sondern immer nur ein Symptom von tiefer liegenden kreativen Blockaden. Hinter dem Prokrastinieren liegen Ängste oder Zweifel. Sie sind es, deine kreativen Impulse behindern. "Trotzdem weitermachen" ist darum auch keine Option. Denn so ein Arbeiten unter Zwang klappt vielleicht, wenn es um die Steuererklärung oder ums Unkrautjäten geht. Aber beim kreativen Prozess brauchst du deine innersten Kräfte, Herz und Verstand, das was dir auf der Seele und unter den Nägeln brennt. Du kannst deinen Verstand nicht auf Null setzen und sagen: "Ich hasse Gartenarbeit, aber da muss ich durch". Oder dich zum mechanischen Ausfüllen der Felder im Elster-Formular füllen. Solche Methoden helfen bei Arbeiten, bei denen wir uns zeitweise zum Roboter machen können. Und es mag sein, dass es schon Roboter gibt, die ein Foto nachzeichnen oder ein bisschen übersetzen können. Aber zu echter Kreativität ist nur der fähig, der fühlen kann und mit seinem ganzen Wesen bei der Sache ist.Wenn du dich beim Aufschieben ertappst, dann gibt es nur eine sinnvolle Reaktion: Dir anzuschauen, was da gerade in dir passiert. Wo du dich im kreativen Prozess befindest. Ob es gut ist, dass du jetzt noch nicht weitermachst. Und es also gut ist, das Aufschieben zuzulassen, es vielleicht sogar noch bewusster zu machen. Oder ob du das Arbeiten vor dir her schiebst, weil dir die Lust oder der Mut fehlt. Weil du an deinen Fähigkeiten oder Ideen zweifelst oder von Ängsten gehindert wirst.  Und falls das so ist: Wie du mit diesen Zweifeln und Ängsten umgehen kannst. Prokrastinieren kann auch hier eine wichtige Funktion haben: Es weist dich darauf hin, dass dir der kreative Kraftstoff fehlt. Und dass du dir die Zeit nehmen solltest,  dich wieder aufzuladen.

Kleiner Grundkurs Prokrastination

Kurz und gut, höchste Zeit, das Prokrastinieren zu rehablitieren und uns genauer anzuschauen, was dahinter steckt. Darum erscheint hier in den nächsten Wochen ein Serie mit Tipps und kleinen Workshops zu den verschiedenen Aspekten des Prokrastinierens: Welche Aufgaben das Aufschieben bei der kreativen Arbeit hat. Wie du erkennst, ob dein kreativer Prozess stockt oder fließt und ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist, deine Bleistifte zu zählen oder besser eine andere Prokrastiniermethode wählst. Teil 1: Prokrastinieren hilft Fokussieren

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Drei Dinge, die du deiner Kreativität schenken solltest.

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1. Prokrastinieren hilft beim Fokussieren